röntgenBLICK #23  

Hybride Arbeitskulturen: Haltung entscheidet

Entspannt on- und offline führen

 

 

Die Arbeitswelt von morgen – so dürfen wir erwarten – wird die positiven Erfahrungen aus dem Lock-down integrieren und Home Office „hoffähig“ machen. Unternehmen kündigen an, dass es weniger Dienstreisen geben wird und erkennen an, dass die Produktivität ihrer Mitarbeiter im Home Office nicht schlechter sein muss. Wir werden hybrider arbeiten. On- und offline.

Die Entwicklungen bieten Chancen, aber auch Herausforderungen – für Mitarbeiter und Führungskräfte. Mitarbeiter, die stark über Zugehörigkeit, einer der zentralen Motivatoren im Beruf, motiviert werden, fühlen sich vielleicht einsam ohne die Kollegen im Büro. Mitarbeiter, denen Status wichtig ist, wird ihr repräsentatives Eckbüro fehlen oder der vielleicht künftig abgeschaffte Dienstwagen. Es wird notwendig sein, gemeinsam herauszufinden, was genau einem wichtig ist und in welcher Weise diese Aspekte berührt sind und in Zukunft gestaltet werden können.

Mit Blick auf die Rolle der Führungskraft braucht es für die Neugestaltung vor allem eines: die richtige Haltung! Das, was uns über Jahrzehnte geprägt hat, Einstellungen und Glaubenssätze, können uns mehr im Wege stehen als mangelnde Technikkenntnisse bei virtuellen Teammeetings. Führungskräfte, die heute schon virtuelle Teams oder ohne Weisungsbefugnis führen, können ein Lied davon singen.

Es ist kein Geheimnis, dass viele Führungskräfte einen Kontrollverlust befürchten, wenn Mitarbeiter nicht nur in Krisenzeiten vermehrt im Home Office arbeiten. Werden sich meine Mitarbeiter ausreichend einbringen und ihr Commitment aufrecht erhalten? Werden Entscheidungen schnell & gut genug erfolgen können, wenn wir uns nicht sehen? Wird jeder wissen, wohin wir wollen und wie er dazu beitragen kann?

Ich sage nur “no guts, no glory” und möchte Mut machen auf diesem Weg in diese neue Phase. Dazu erinnere ich an 3 PSYCHOLOGISCHE PHÄNOMENE, die wir alle – auch aus dem privaten Bereich – gut kennen und wir uns jetzt als Führungskraft zu Nutze machen können.

PHÄNOMEN #1 – INTRINSISCHE MOTIVATION

oder: wenn wir auf etwas Bock haben, bleiben wir freiwillig am Ball

Wenn man in die Geschichte der Arbeit blickt, ging es früh um „Command & Control“. Es gab Aufseher, die dafür sorgen sollten, dass vermeintlich unmotivierte, faule Landarbeiter produktiver wurden. Man bot den Menschen extrinsische Motivatoren – allem voran Geld später auch als Bonus gekoppelt an individuelle Ziele – um sie zu Leistung zu „verpflichten“.

Was man aber vergessen hat, ist, dass sehr viele Menschen nicht nur des Geldes wegen arbeiten. Erstaunlich viele Arbeitnehmer geben in entsprechenden Studien an, dass sie auf Gehalt verzichten würden, wenn sie dafür mehr Sinn in dem sehen, was sie tun. Sinn und einen wertvollen Beitrag in dem zu sehen, was man leistet, bedeutet intrinsisch motiviert zu werden.

Es geht dabei auch darum, autonom zu entscheiden, was man tun möchte, wie man seine Potenziale entfalten möchte. Können wir nicht(s) selbst bestimmen, sind wir also stark fremdbestimmt, fehlt uns die Antriebskraft.

Eigentlich wissen wir das alles, aber dennoch bleibt dieses mulmige Gefühl als Führungskraft beim Führen auf Distanz. Insbesondere weil nicht alle wissen, wie sie Sinn & Autonomie bieten können. Dafür habe ich ein paar Vorschläge zusammengestellt. Von diesem Tool-Buffet kann man sich gerne bedienen und so die intrinsische Motivation der Teammitglieder aktiv unterstützen.

FÜHRUNGSTOOL-BUFFET

Die Tools lassen sich offline wie online anwenden. Online vielleicht über mehrere Tage verteilt anstatt eines 1-Tages-Workshops offline, damit es „verdaubar“ bleibt. Aber in jedem Fall auch verbindend, zielführend und spielerisch Spaß machend!

 

  • Find your Why – der Ansatz von Simon Sinke, mit dessen Hilfe Teams und auch jeder Einzelne seinen Purpose, sein Wofür findet
  • Co:create – ein z.B. halbjährlicher Austausch zu den gemeinsamen Abteilungszielen, der besten Ressourcenverteilung, Rollenklarheit und optimalen Schnittstellen
  • Re:view – ein kontinuierlicher Verbesserungs- und Lernprozess mit einem (virtuellen) Flipchart mit den 4 Feldern „unbedingt weiter machen“, „bitte stoppen“, „ich habe da ‚ne Idee“ und „erfolgreich gemeistert“, die es mit Post-its (anonym) zu füllen gilt
  • Job-Crafting – eine z.B. jährliche Einladung an die Mitarbeiter zur aktiven Veränderung des eigenen Rollenprofils und Aufgabenspektrums (das Ergebnis kann dann beim Co:createn, s.o., einbezogen werden)
PHÄNOMEN #2 – GRUPPEN”DRUCK”

oder: wir wollen die anderen nicht im Stich lassen und auch nicht unangenehm auffallen

Eines vorweg: Gruppendruck kann sehr gefährlich sein. Im Extremfall, wie einst in Japan, hat der sog. Majoritätsdruck dazu geführt, dass sich Mitarbeiter in puncto Überstunden überboten haben oder mindestens gleichziehen wollten und sie so in den Burn-out getrieben wurden. Ich möchte Gruppendruck als psychologisches Programm hier positiv genutzt wissen!

Kommt ein Team durch vermehrtes Home Office nicht mehr wie gewohnt zusammen, entsteht insbesondere dann Raum für ungewolltes „Einzelkämpfertum“ oder „Faulenzer“, wenn die Mitarbeiter wenige Schnittstellen untereinander haben.

FÜHRUNGSTOOL-BUFFET

Um ein positives Gruppenverhalten zu fördern, bieten sich folgende (virtuelle) Ansätze an:

  • Mitarbeiter-übergreifende Projekte – vermehrt aufsetzen
  • Kanban – ein Tool aus der agilen Arbeitswelt, das Aufgaben und ihren Fortschritt zu besseren Übersicht für alle auf einem entsprechenden Kanban-Board visualisiert. Kanban arbeitet mit 3 Stufen: „requested“, „in progress“ und „done“. Online wird von vielen Trello als Kanban-Collaborationstool genutzt
  • Peer Coaching – eine Form des kollegialen Lernens und Austauschens, bei dem es sog. Fallgeber gibt, zu deren Anliegen die Kollegen ihre Erfahrungen und Vorschläge einbringen. Damit wird die Interaktion im Team erhöht. Das Peer-Coaching kann sehr gut auch ohne den Chef stattfinden. Es ist ratsam feste, regelmäßige Zeitfenster dafür im Teamkalender zu reservieren

 

PHÄNOMEN #3 – VERBUNDENHEIT

oder: wir hauen nicht den in die Pfanne, der uns vertraut, hilft oder schützt

Im Falle von „Zuckerbrot & Peitsche“ kuschen wir vor unserer Führungskraft. Die Angst treibt uns zu Gehorsam. Heute werden wir maximal noch mit Worten bestraft, aber auch das schürt kein Vertrauen, keinen freiwilligen Respekt und keine freiwillige Loyalität.

Klar ist aber, dass wir uns loyal verhalten, wenn man uns mit Respekt begegnet. Auch möchten wir in uns gesetztes Vertrauen nicht missbrauchen. Und nicht zuletzt werden wir nicht denjenigen hängen lassen, der uns Rückendeckung gibt, wenn es mal brenzlig wird.

Wir Menschen streben danach, 2 grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen. Zum einen das Bedürfnis nach Autonomie und zum anderen das nach Sicherheit. Bedient eine Führungskraft diese, kann sie die Loyalität und Produktivität ihrer Mitarbeiter positiv beeinflussen. Dies galt zwar schon immer, hat aber gerade bei Führen aus dem Home Office heraus nochmal an Bedeutung gewonnen.

FÜHRUNGSTOOL-BUFFET

Wie aber kann ich das als Führungskraft konkret erreichen? Hier meine Vorschläge – inspiriert von Prof. Dr. Nico Rose, Professor für Wirtschaftspsychologie:

Autonomie-Support durch

  • Vermehrtes Delegieren von Aufgaben, die bisher der Führungskraft selbst oblagen
  • Vermehrtes Loslassen statt nur delegieren, im Sinne von nicht mehr das Ergebnis kontrollieren, sondern darauf vertrauen, dass alles richtig und gut ist
  • Verstärkten Zugang-Bieten zu wichtigen Gremien oder Direktzugriff auf den Chefchef (ohne Beisein der Führungskraft)
  • Erweitern der Entscheidungsbefugnisse des Einzelnen und des Teams in Summe (z.B. Urlaubsplanung oder Ressourcenverteilung)
  • Gewährleisten von Zeitsouveränität im Sinne von Arbeitszeit-Einteilung 

Psychologisches Sicherheitsnetz durch

  • Freiwillige buchbare Sprechstunden (zu festen Zeiten, vielleicht als 30 min-Slots), bei denen die Führungskraft dem Mitarbeiter vor allem zuhört (vergleiche auch Ansätze der Theory U und wertschätzende Kommunikation)
  • Konsequentes Halten von Versprechen
  • Regelmäßiges Einholen von Feedback zur eigenen Führung z.B. in Form einer regelmäßigen, kurzen persönlichen Email mit 3 knackigen Fragen/Aufforderungen wie „Make a wish“ – wichtig ist dabei, dass es unkompliziert und häufig ist, damit Hemmungen, die in Jahresgesprächen häufig ernsthaftes Feedback verhindern, eingedämmt werden können
  • Konsequentes Gewähren von Rückendeckung nach außen, z.B. ggü. dem Chef einer anderen Abteilung, falls mal ein Fehler passiert

 

EINE ABSCHLIEßENDE BITTE

Stürzt euch nicht direkt auf neue Tools und Ideen – ob von mir oder anderen. Sie helfen nicht, wenn eure innere Haltung nicht dazu passt. Wenn Glaubenssätze wie „im Home Office arbeitet doch keiner richtig“ oder „Herrn x muss man immer auf die Finger schauen“ oder „nur ich selbst kann die großen Präsentationen gut schreiben“ in uns schlummern. Warum? Weil Menschen eine sehr feine Ader haben, ob jemand nur intelligent tolle Tools einsetzt oder authentisch führt und handelt. Verinnerlicht euch die 3 psychologischen Phänomene, überprüft, ob ihr an sie glauben könnt. Euer Führungsverständnis und -verhalten könnt ihr gern mit mir professionell unter die Lupe nehmen und weiterentwickeln – inkl. der Einbindung von Führungsinstrumenten, die zu euch passen. Kontaktiert mich gerne unverbindlich dazu!

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© Ina Konrad-Röntgen I Sparring für Leaders Ina Konrad-Röntgen ist Consultant und Coach in Köln. Auf dem historischen Gut Schillingsrott bietet sie Privatpersonen Coachings und Workshops zur Persönlichkeits- und Karriereentwicklung an. Als ehemalige Führungskraft der Deutschen Telekom und Unternehmensberaterin bei Roland Berger designt & moderiert sie erfolgreich kundenindividuelle Team-Workshops und coacht Executives, die Veränderungsprozesse leiten oder selbst durchlaufen.