röntgenBLICK 

#30

MEHR WERTSCHÄTZUNG IM TEAM – 

der Self-Coaching Ansatz

 

Mehr Wertschätzung und Respekt wünschen sich die Teams, die ich coache, sehr häufig. Auch bei der Diskussion über eine gute Unternehmenskultur fallen diese Begriffe immer wieder. Was aber ist Wertschätzung genau? Woran merken wir konkret, dass sie da ist, gelebt wird oder auch nicht?

Wertschätzung ist manchmal ein Totschlagargument, manchmal ein nebulöses Etwas, was unerreichbar scheint. Das Buch „Anerkennung & Wertschätzung“ von Hannelore und Markus F. Weidner bringt Licht ins Dunkle. Es bildet die Grundlage für meinen hier beschriebenen Self-Coaching-Ansatz für Teams.

Rein wörtlich genommen ist Wertschätzung das „voraussetzungslose Achten der Würde und Individualität eines Menschen“. Klingt schön, hilft mir aber im Alltag noch nicht, es zu greifen und umzusetzen. Klarer macht es das Wertschätzungsbarometer von Weidners, das die 5 Stufen der Wertschöpfung beschreibt. Dabei ist Respekt übrigens eine dieser Stufen.

Wie könnt ihr als Team also vorgehen? Mein Self-Coaching-Ansatz besteht aus 4 Schritten:

SCHRITT 1

Als Warm-up lade ich euch ein zu verstehen, wer was als wertschätzend empfindet. Da der Begriff so breit ist, macht es Sinn, ihm anhand von positiven Beispielen Klarheit zu verleihen. Die erste Aufgabe bzw. Frage lautet deshalb:

In welchen Situationen hast du Wertschätzung im Team erfahren oder beobachten können?

Am besten notiert erst jeder für sich 7 min lang, was ihm dazu einfällt, und dann tragt ihr eure Ideen am Flipchart zusammen. Die anfänglichen Minuten der Arbeit in der Stille sind ganz gut zum Zentrieren und Einfühlen in das Thema.

SCHRITT 2

Als nächstes geht es mit Hilfe eines theoretischen Frameworks – dem Wertschätzungsbarometer mit seinen 5 Stufen – in die genauere Standortbestimmung.

Dazu bewertet ihr jede Stufe auf einer Skala von 1 = niedrige Ausprägung des Begriffs bis 10 = hohe Ausprägung des Begriffs. Am Beispiel Respekt heißt das: 1 = wir sind als Team wenig respektvoll, 10 = wir sind als Team sehr respektvoll.

Stufe 1: die Aufmerksamkeit – den anderen wahrnehmen

  • Nehmen wir uns wahr? Werden einzelne vernachlässigt oder gar ignoriert?
  • Beispiele: Passiert es uns, dass, wenn jemand in einem Meeting einen Punkt anbringt, keiner drauf eingeht? Blättern wir in Unterlagen oder starren wir in den Laptop, wenn jemand spricht? Lassen wir unsere Gedanken schweifen und sind nicht wirklich anwesend bei Besprechungen?

Stufe 2: der Respekt – den anderen ernst nehmen

  • Nehmen wir die Meinung eines jeden Teammitglieds ernst? Lassen wir einander ausreden? Haben wir Achtung vor den Wünschen anderer?
  • Beispiele: Holen wir die Einschätzung all derer ein, die von einer Entscheidung betroffen sind? Reden wir in einem angenehmen oder eher barschen Ton miteinander? Werden Teammitglieder, Kollegen, Kunden oder Lieferanten auch schon mal abgekanzelt? Kommt es vor, dass wir uns anschreien oder drohen („wenn du das nicht machst, dann…“)? Respektieren wir das Privatleben anderer?

Stufe 3: die Höflichkeit – den anderen einnehmen

  • Prägen unser Miteinander Höflichkeit & Freundlichkeit oder eher Desinteresse und Geringschätzung?
  • Beispiele: Sind Worte wie „danke“, „bitte“ und „guten Tag“ gang und gäbe bei uns? Nehmen wir Rücksicht auf Schwächere? Gehen wir wertschätzend mit der Zeit von anderen um (= sind wir pünktlich)? Halten wir uns an Verabredungen und Termine? Kleiden wir uns dem Anlass angemessen? Entschuldigen wir uns bei Fehlern?

Stufe 4: die Toleranz – den anderen nehmen, wie er ist

  • Sind wir aufgeschlossen ober haben wir Vorurteile gegenüber anderen (Abteilungen)? Entwerten wir andere oder stecken wir sie in Schubladen?
  • Beispiele: Stempeln wir Menschen z.B. als „Erbsenzähler“, „Bedenkenträger“ oder „karrieregeil“ ab? Wie reden wir über die IT, HR, Controlling oder Revision? Wie redet der Vertrieb über die Produktion oder das Marketing über den Vertrieb?

Stufe 5: die Empathie – den anderen verstehen wollen

  • Können wir uns in andere einfühlen (und uns entsprechend einfühlend verhalten)? Können wir zwischen den Zeilen lesen?
  • Beispiele: Gestalten wir schwierige Situationen wertschätzend, so dass der „Betroffene“ sie besser nehmen kann? Können wir uns in die Lage des anderen hineinversetzen und erreichen z.B. dadurch schnell eine für alle Seiten tragbare Lösung? Haken wir nach, wenn etwas ungesagt zu bleiben scheint?

 

Die Fragen helfen euch, die jeweilige Stufe besser zu greifen und zu bewerten. Ziel ist es in diesem Schritt, (noch) nicht inhaltlich zu diskutieren (höchstens Verständnisfragen klären), sondern nur die durchschnittliche Bewertung der Teammitglieder zu ermitteln. Die passende Frage an das Team lautet:

Welchen Wert auf einer Skala von 1-10 würdest du dem Team (nicht dir selbst!) für die jeweilige Stufe geben?

Tipp 1: bereite auf einem Flipchart für jede Stufe eine Achse mit den Werten 1-10 vor und verteile an jedes Teammitglied 5 Klebepunkte. Jeder klebt nun je einen Punkt auf den für ihn/sie passenden Wert auf jede der fünf Achsen. So macht die Übung mehr Spaß und die dabei entstehende aussagekräftige Visualisierung hilft euch bei den folgenden Diskussionen.

Tipp 2: die Übung fällt euch leichter, wenn jemand vorab das „Wertschätzungsbarometer“ mit seinen 5 Stufen kurz einführt und erklärt. Dies kann z.B. anhand der Fragen im jeweils 1. Bullet jeder Stufe geschehen.

 

SCHRITT 3

Zum jetzigen Zeitpunkt habt ihr schwarz auf weiß eine Bewertung. Sie gilt es im 3. Schritt mit Gedanken & Worten mit Leben zu füllen. Dazu bietet es sich je nach Teamgröße an, in Kleingruppen à 3-5 Leute zu gehen und für jede der 5 Stufen folgende Fragen zu beantworten:

  • Warum sind wir da, wo wir stehen? Was können wir gut, worin können wir uns verbessern?
  • Welchen Zielwert möchten wir erreichen (man muss ja nicht überall eine 10 anstreben)?
  • Welche Vereinbarung (Spielregel, Leitlinie etc.) schlagen wir vor, um wertschätzender zu werden?

Nach der Kleingruppenarbeit stellt jede Gruppe ihre Ergebnisse vor. Die vorgeschlagenen Zielwerte werden auf den Achsen auf dem Flipchart eingezeichnet.

SCHRITT 4

Die bisherigen Diskussionen werden schon dazu beigetragen haben, dass ihr die Haltung & Wünsche der Einzelnen und des Teams in Summe besser versteht. Jetzt gilt es nach vorne zu schauen und eine Grundlage zu basteln, anhand derer ihr immer wieder überprüfen könnt, wie sich das Thema Wertschätzung bei euch entwickelt.

Dazu bieten sich 2 Listen an, die zu einem „Code of Conduct“ zusammengeführt werden können:

 

  • Liste der Stärken (schaut dazu auch noch mal auf eure Ideen aus Schritt 1): Inwiefern sind wir schon sehr wertschätzend unterwegs, was möchten wir beibehalten? 
  • Liste der Vereinbarungen: Welche Vereinbarungen (Prinzipien, Werte, Spieregeln, Leitlinien etc.) möchten wir treffen, um uns als Team weiterzuentwickeln?

Das war der pragmatische Self-Coaching-Ansatz für Teams für ein Mehr an Wertschätzung.

Ich wünsche euch, dass er zu guten (wertschätzenden) Diskussionen führt und zu einer besseren Teamstimmung und Team-Performance beiträgt.

Ein wichtiger Hinweis: ist die Stimmung im Team gerade sehr angespannt, gibt es ein ausgemachtes „schwarzes Schaf“ oder (verdeckte) Konflikte, dann sollte ein solcher Ansatz – wenn überhaupt – nicht ohne einen moderationserfahrenen Coach durchgeführt werden. Es gilt „Blame Games“ zu vermeiden und die Würde jedes Einzelnen zu schützen. Genau dies passiert aber schnell, wenn man über Beispiele spricht, bei denen fehlende Wertschätzung sichtbar wird.

Gerne bin ich dieser erfahrene Coach, aber vielleicht habt ihr auch neutrale Kollegen, die sich dafür eignen, weil sie z.B. eine Coaching- oder Mediationsausbildung gemacht haben? Hauptsache, ihr widmet euch diesem Thema. Denn Wertschätzung ist „Futter für die Seele“ und “Treibstoff für Erfolg” wie Hannelore und Markus F. Weidner so schön schreiben.

 

#wertschätzung #teamkultur #teamstimmung 

Für weitere Inspirationen & Informationen: die röntgenBLICKE im Überblick > HIER
(c) Ina Konrad-Röntgen ist Beraterin & Coach für Teamführung und Karriere. Mit SPARRING für LEADERS ist sie auf dem historischen Gut Schillingsrott in Köln ansässig.

Als ehemalige Führungskraft der Deutschen Telekom und Strategieberaterin bei Roland Berger designt & moderiert sie erfolgreich Team-Workshops und Leadership Trainings und coacht Executives, die Veränderungsprozesse leiten oder selbst durchlaufen.